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E-Health-Reportage

Projekt Telemedizin im Rettungsdienst Mittelhessen
Reportage vom 08.03.2020

In den beiden Landkreisen Marburg-Biedenkopf und Gießen werden durch die telemedizinische notärztliche Unterstützung im Rettungsdienst Notarzteinsätze reduziert und Patientenströme gelenkt. Das nichtärztliche Rettungsfachpersonal soll via Datenübertragung, elektronischer Kommunikation und Videotelefonie in ihren Entscheidungen ohne Zeitverzögerung rechtssicher beraten werden. Wie dies gelingt zeigt ein Kurzfilm und ein Blick hinter die Kulissen der Dreharbeiten. 

"Telemedizinische Maßnahmen haben die gesundheitliche Versorgung in Mittelhessen nachhaltig verbessert."
Der Begriff „Telemedizin“ klingt im ersten Moment nach einer Zukunftsvision aus den 1980ern. Und so ganz falsch liegt man damit nicht, denn genau seit dieser Zeit werden telemedizinische Verfahren in größerem Umfang erprobt. Telemedizin dient dabei als Sammelbegriff für unterschiedliche ärztliche Versorgungskonzepte, die jedoch laut Weltgesundheitsorganisation eine gemeinsame Idee vereint: Die „Erbringung von Dienstleistungen im Gesundheitswesen über beliebige Entfernungen hinweg mithilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnik.“
 
Waren die Möglichkeiten in den 1980er-Jahren noch beschränkt, nutzen heute bereits Millionen von Smartphone-Besitzern auf der ganzen Welt völlig selbstverständlich telemedizinische Konzepte zur Behandlung ihrer Beschwerden. Und wirft man einen Blick auf die rasant wachsenden Download-Zahlen von E-Health- und Teleklinik-Apps, so spricht alles dafür, dass die Zukunft der ärztlichen Versorgung in der Telemedizin liegt. Schon heute werben viele Krankenkassen für die Nutzung von Telekliniken via Smartphone, denn die damit verbundenen Kosteneinsparungen sind laut ersten Erfahrungen aus anderen Ländern nicht von der Hand zu weisen. Von der Kosteneinsparung mal ganz abgesehen ist die Telemedizin vor allem dort zu einem hilfreichen Instrument in der Patientenbetreuung geworden, wo nur eine geringe ärztliche Versorgung gewährleistet werden kann, wie etwa in entlegenen Dörfern in Australien oder in der Arktis. Aber auch in Deutschland wird es mit dem anhaltenden Mangel an Landärzten zukünftig ländliche Gebiete geben, in denen man verstärkt auf die Telemedizin zurückgreifen wird. Die 2016 vom Deutschen Ärztetag beschlossene Lockerung des Fernbehandlungsverbots wird der Telemedizin mit Sicherheit helfen, sich auch in anderen Bereichen zu etablieren. Das Verbot untersagte Ärzten bis zu diesem Zeitpunkt noch, Patienten von fern zu betreuen, ohne sie vorher persönlich kennengelernt zu haben – oder gar eine Diagnose auf Distanz zu stellen.

Denn ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass es auch jenseits der einfachen Konzepte zur Überbrückung fehlender ärztlicher Versorgung bereits eine Vielzahl von Konzepten auch in betreuungsintensiveren Fällen gibt, telemedizinische Konzepte anzuwenden. In Deutschland ist das Telemedizin-Zentrum Aachen einer der Schrittmacher im Bereich diagnostischer Betreuung der Patienten geworden. Das dort bereits im Jahre 2015 eingeführte Aachener-Modell gilt als innovative Möglichkeit, dem Mangel an Notärzten entgegenzuwirken. Denn nicht bei jedem Einsatz eines Rettungswagens ist zwingend auch der Einsatz eines Notfallarztes nötig. Die Entscheidung darüber, ob ein Notarzt zum Einsatz kommt oder nicht, wird in Aachen mittlerweile über eine 24 Stunden mit Telenotärzten besetzte Einsatzzentrale getroffen, die sich alle nötigen Informationen und Patientendaten von den Rettungssanitätern vor Ort zukommen lässt und dann individuell reagiert. Auch in Marburg arbeitet man seit Anfang 2019 an einem vielversprechenden und dem Aachener Projekt nicht unähnlichen Konzept. Das Hauptziel der Marburger ist eine verbesserte Lenkung von Patientenströmen bei gleichzeitiger Verringerung der Einsätze von Notärzten. Denn auch hier werden diese zu oft zu vermeintlichen Notfällen gerufen, bei denen auch ein Hausarzt helfen könnte. Die Marburger möchten mit ihrem vom Land geförderten Ansatz das Aachener Telenotarzt-Modell vereinfachen und auch für kleinere Standorte nutzbar machen. Beim Marburger Konzept muss der Telenotarzt nicht zwingend in einer Einsatzzentrale sitzen, sondern ist überall über sein e-Tablet erreichbar. Es vernetzt den Patienten im Rettungswagen nahezu verzögerungsfrei mit dem Bereitschaftsarzt, der dann beispielsweise die EKG-Werte ortsunabhängig auswertet und dem Rettungspersonal Anweisungen für den weiteren Behandlungsverlauf des Patienten gibt. Das Konzept der Marburger wird derzeit für Routinebehandlungen als strukturelle Ergänzung in der Erstversorgung geprüft und eingesetzt. Bis sich das vereinfachte Marburger System vollständig in die Abläufe integriert hat, sind zwar noch einige Praxiserfahrungen nötig, aber schon jetzt ist klar: Krankenhäuser, gerade im ländlichen Raum, werden ohne telemedizinische Konzepte nicht zukunftsfähig sein.
 
Wenn wir die Entwicklung der Medizin in den letzten Jahrhunderten betrachten, so hat sie sich durch die Einführung neuer Technologien immer wieder grundlegend verändert und wird dies weiter tun. Mit der fortschreitenden Digitalisierung und der damit einhergehenden Vernetzung stehen wir vor einer weiteren großen Revolution im Gesundheitswesen. Auch wenn die Telemedizin bei der jüngeren Generation an Akzeptanz gewinnt, ist zumindest bei uns in Deutschland noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Obwohl die Vorteile nicht von der Hand zu weisen sind, ist das Thema nach wie vor Anlass für viele Diskussionen. Ein vom hessischen Sozialministerium in Auftrag gegebener Kurzfilm, der im Dezember 2019 in Marburg gedreht wurde, soll hierbei Transparenz und Aufklärung schaffen. Der Film zeigt, wie sich durch die Möglichkeiten moderner Medizin nicht nur die Behandlungssituation der Patienten verbessert, sondern vor allem der Einsatz von qualifiziertem medizinischem Personal zielgenauer lenken lässt. Denn eines ist den Marburgern wichtig: Die Telemedizin soll die persönliche, ärztliche Betreuung nicht ersetzen, sondern ergänzen.