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09. Jul 2021

Digital gegen den Krebs

MEDIZIN. Der Kampf gegen den Krebs erfordert Digitalisierung und Datennutzung, das war eine Kernbotschaft beim Vision Zero Symposium der deutschen Krebsmedizin in Berlin. Der neuen Bundesregierung soll eine „Berliner Erklärung“ mit auf den Weg gegeben werden.

„Wenn wir das Gesundheitssystem erhalten wollen, werden wir den demografischen Wandel niemals ohne profunde Digitalisierung überleben können“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Charité, Prof. Dr. Heyo Kroemer, im Rahmend es E-Health Workshops des diesjährigen Vision Zero Symposiums in Berlin. „Vision Zero“ ist eine von unterschiedlichen Stakeholdern des Gesundheitswesens und der Gesundheitsindustrie getragene Initiative, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, vermeidbare Tumorerkrankungen und Tumortodesfälle möglichst komplett zu eliminieren.

Patient:innen wollen ein lernendes System

Kroemer forderte eine patientenzentrierte Aufstellung des digitalen Gesundheitssystems, bei dem die Krankenversorgung im Rahmen von Plattformkonzepten und stark kooperativ stattfindet und nicht nur Versorgungsdaten zugänglich gemacht werden, sondern auch die Patient:innen selbst Daten beisteuern, zum Beispiel über mobile Sensorik. Eine „Beispielplattform“ soll in Berlin entstehen, wo insofern günstige Voraussetzungen herrschen, als die beiden größten Krankenversorger, die Charité und Vivantes, nicht nur beides öffentliche Einrichtungen sind, sondern zusammen weit über 50 Prozent der Krankenhausbetten abdecken. „Bis Ende des Jahres wollen wir in Berlin einen Echtdatenraum schaffen, wo wir auf alle Daten zugreifen können. Das eröffnet zum Beispiel für klinische Studien enormes Wettbewerbspotenzial“, so Kroemer.

Nicht nur aus Versorgersicht, vor allem aus Sicht der Patient:innen sei eine bessere Digitalisierung der Gesundheitsversorgung dringend geboten, sagte Dr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit: „Patient:innen gehen sehr stark davon aus, dass Zahlen, Daten, Fakten, die im Rahmen der Versorgung gewonnen werden, dazu beitragen, dass das System lernt und sich weiterentwickelt.“ Das sei in Deutschland nicht immer einfach, auch weil der Datenschutz so stark reglementiert werde, dass man sich fragen müsse, ob nicht die Gesundheitsförderung darunter leide. „Daten retten Leben“, so Hecker.

Berliner Erklärung: Datennutzung statt Datensparsamkeit

Genau das ist auch das Credo der „Berliner Erklärung“, die Krebsexpert:innen und Vertreter:innen der Gesundheitswirtschaft im Vorfeld des Vision Zero Kongresses erarbeitet und abgestimmt haben. Sie wird im Nachgang zu der Veranstaltung bei E-HEALTH-COM veröffentlicht und ist „ein Appell an die Politik“, wie es Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG, ausdrückte. Die „Berliner Erklärung“ flankiert auch das in diesen Wochen vorgestellte Gutachten des Sachverständigenrats (SVR) Gesundheit, das sich der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens widmet. Das SBVR-Gutachten hat einen ähnlichen Tenor, bezieht sich aber nicht spezifisch auf die Krebsversorgung.

Prof. Dr. Christof von Kalle, Mitorganisator des Vision Zero Symposiums, Mitglied im SVR und seit 2019 Chair für klinische und translationale Wissenschaften am Berlin Institute of Health (BIH) der Charité Berlin, stellte die Kerninhalte der Berliner Erklärung beim Vision Zero Symposium in Berlin vor. Aus von Kalles Sicht geht es vor allem darum, von einem „realitätsfernen Konzept Datensparsamkeit“ zu einem „gestaltenden Konzept der Datennutzung“ zu kommen.

Der Patient soll entscheiden, und er muss die Mittel dafür an die Hand bekommen

Er wies auch darauf hin, dass der Verweis auf die DSGVO nicht trage: Die DSGVO führe in anderen europäischen Ländern dazu, dass Gesundheitsdaten forschend genutzt würden und mehr Patientensouveränität hergestellt werde. In Deutschland dagegen diene die DSGVO oft als Begründung, zu erklären, was alles nicht gehe.

Die Grundphilosophie der Berliner Erklärung geht im Einklang mit dem Geist der DSGVO in Richtung Selbstbestimmung der Patient:innen: „Der Patient sollte selbst entscheiden, und die Daten sollten teilbar, auswertbar, strukturiert und interoperabel zur Verfügung gestellt werden“, so von Kalle. „Wir müssen weg von Institutionen, die Gesundheitsdaten jeweils separat sammeln, hin zu einem System, das für die Patienten sammelt, inklusive selbst zur Verfügung gestellter Daten.“

Von Kalle ging so weit, zu fordern, dass es eine Weitergabe-Pflicht für anonymisierte Daten geben könnte. Eine Kumulierung zur Erringung wirtschaftlicher Vorteile durch wen auch immer dürfe es dagegen nicht geben. „Natürlich braucht das eine öffentliche Infrastruktur mit nachhaltiger Ressourcenausstattung, flächendeckend und kompatibel mit anderen EU-Staaten.“

 

In Kooperation mit Redaktion E-HEALTH-COM